Liegebummler – Weltreise mit dem Liegerad

USA – Wüste satt mit dem Liegerad

Wenn wir es nicht besser wüssten, würden wir auf die Frage „wie sieht es in den USA denn so aus?“ klar antworten: Wüste satt! Aber sowas von. Unser Bild von den USA wurde von unserer Route, für die es vor der Einreise keinen genauen Plan gab, trotzdem stark geprägt. Allein das nicht wirklich greifbare Ziel Los Angeles stand fest. Und so ließen wir uns immer weiter treiben, und fuhren einige 1000 km durch wüstenähnliche Gegenden. Praktisch der komplette Weg von Utah an die Küste ist furz trocken und meist ebenso wenig besiedelt, wie hier was Grünes wächst.
Aber der Reihe nach: Nach dem Bryce Nationalpark stand als nächster Park nur wenig entfernt der Zion Nationalpark auf dem Programm. Auch ihn fanden wir beeindruckend, vor allem die Wanderung auf den Aussichtspunkt Angels Landing bot grandiose Blicke. Wie in jedem Park in den USA waren wir auch hier nie allein, immerhin waren die letzten 150 Höhenmeter mit etwas Kletterei verbunden, was den Großteil abhielt. Typisch Amerikanisch ist die Panikmache vor der Natur: Viele Schilder warnen von Überanstrengung, Dehydrierung und Absturzgefahr teils mit Texten wie „hier sind in den letzten 5 Jahren 8 Leute ums Leben gekommen, pass auf dass du nicht der Nächste bist“. Zu schade dass die Lobby der Nahrungsmittelindustrie zu stark ist, sonst müssten die Supermärkte vollgepflastert mit Warnschildern sein. Den vielen fetten Amis sagt man wohl lieber nicht, dass die übergroßen Packungen von den diversen Kalorienbomben x-mal gefährlicher sind, als jeder Autobahn-Wanderweg in den Nationalparks. Interessanterweise gibt es aber in fast allen Supermärten die Organic-Ecke, wo man ökologischeres, also z.B. nicht genmanipulierte Lebensmittel bekommt – die Hoffnung stirbt zuletzt.
In unserer letzten Stadt in Utah, St. George, kamen wir mal wieder bei einem Warmshowers unter. Mit großen Augen fuhren wir in das Villenviertel ein und wurden herzlich von einer amerikanischen Familie begrüßt. Reich geworden durch die Ölindustrie bekamen wir einen kleinen Teil, in Form von super leckerer Verköstigung von vorne bis hinten und eigenen Bett, davon ab. Lustiger weise waren wir nicht die einzigen Gäste: Auch die beiden Oldies Sylvia und Maryann (http://travelsbytrike.blogspot.com/) waren in derselben Nacht Gäste, und jeder bekam natürlich sein eigenes Gästezimmer – in der fetten Hütte alles kein Problem. Die beiden Trikefahrer sahen wir dann am Folgetag direkt nochmal, nämlich auf dem Weg durch bzw. über die Berge nach Nevada mit einem kurzen Abstecher in Arizona. Drei Bundesstaaten an einem Tag in den USA, dass schafft man nur selten. In Nevada ist Glücksspiel nicht verboten und so sah dann auch die erste Stadt Mesquite aus: Ein Casino neben dem anderen, die komplette Bandbreite von Alkohol zu Spotpreisen in den Supermärkten und selbst dort Spielautomaten. Auf dem Campingplatz waren mal wieder Zelte verboten, was uns jetzt schon einige Male passiert ist – Camping 2.0 ganz klar ohne die „Assis“ in den Zelten. Dafür war das Casino-Hotel mit keinen 30 Dollar pro Nacht sogar billiger als der Campingplatz. Die Rechnung geht für das Casino aber sicherlich trotzdem auf: Im Casino verlieren die allermeisten Hotelgäste garantiert so viel Geld, dass das Hotelzimmer auch umsonst angeboten werden könnte. Der Gang durch das Casino bot den Blick auf viele reichlich zerstört aussehende Menschen, die wie hypnotisiert vor wild blinkenden Automaten saßen, für viele Stunden apathisch den Button des einarmigen Banditen drückten, der gerne ihre vielen Dollar-Scheine inhalierte. Das war aber nur ein leiser Vorgeschmack von Las Vegas, dazu aber später mehr.
Der Weg über das Lake Mead Erholungsgebiet nach Las Vegas zeigte uns wieder einmal, was wohl Nevada zum größten Teil ausmacht: Wüste satt! Wir hatten nichts anderes erwartet. Aber auf die Idee zu kommen hier freiwillig zu wohnen, was man einigen Einwohnern der Großstadt Las Vegas wohl unterstellen kann, ist uns ein Rätsel. Die Stadt ist eine große Show mit dem einzigen Zweck die vielen dutzend Millionen Touristen pro Jahr maximal zu schröpfen. Und für die Show hat man sich, durch aus respekteinflößend, nicht lumpen lassen. Milliardenschwere Luxushotels und Casinos, Entertainment überall und niemals schlafend prägt die bekannte Straße/Meile namens „The Strip“. Da wir uns gerne selbst ein Bild von alle dem machen wollten, blieben wir paar Tage in Las Vegas – wiederrum in einem billigen Casino-Hotel (mit über 2000 Zimmern). Auf Rückfrage durften wir unsere Fahrräder mit aufs Zimmer nehmen, wir hätten es eh nicht verheimlichen können. So mussten wir unserer Räder über den roten Teppich des Casinos schieben, um zu den Aufzügen der Hotelzimmern zu kommen – verdutzte Blicke von den vielen Leuten dort inklusive. Ohne unsere Räder direkt neben uns können wir eh nicht mehr schlafen.
Abends liefen wir viele Kilometer die Weggehmeile rauf und runter, von einem Casino in das Nächste, eins prunkvoller und luxuriöser als das Andere, und sahen doch immer das Gleiche. Dazu noch viele eindeutige Angebote für den primitiven und unterversorgten Mann. Uns kam das alles reichlich armselig vor, und irgendwie auch erschreckend wie viele Leute genau auf diese – vorsichtig gesagt – Ablenkung stehen. Als wir beim Essen saßen war von unserem Nachtbartisch nicht zu überhören, wie toll dass doch hier ist, und es zu Hause ja so fad sei – und das System Las Vegas funktioniert: Biete den Menschen eine temporäre Flucht in den Überfluss und Luxus, weil sie das kapitalistische System mit „mehr ist zu wenig, noch mehr ist immer besser“ verinnerlicht haben. Die Krönung, im negativen Sinne, für uns waren die vielen Hochzeiten die hier gefeiert werden. Hochzeit als temporäre Show in Las Vegas, was für eine Farce! Das sind dann solche Momente, wo wir für uns überlegen, inwiefern uns die bald einjährige Reise verändert hat. Unsere Prioritäten haben sich definitiv in Richtung der Basics verschoben, Konsumrausch und Selbstbetrug gehört sicherlich nicht dazu.
Las Vegas verließen wir auf unseren Rädern erst kurz vor Mittag, nicht ganz auf dem Radar habend, dass der Tag über 100 km weit werden könnte. Die zusätzliche Passüberquerung kostet uns auch noch Zeit, so dass der Weg nach Pahrump als einer der Ausnahmetage in unser Reisetagbuch einging, wo wir über eine Stunde auf dem Highway im dunklen fuhren. Die trostlose Kleinstadt lag für uns auf dem Weg in das Death Valley. Der Abstecher und Umweg auf dem Weg nach Los Angeles war noch gut drin, weil wir noch genügend Zeit bis zum Abflug hatten. In phantastischem Abendlicht fuhren wir über 20 km und 1000 Höhenmeter in das Death Valley rein, und erreichten das zweite Mal – nach Australiens Lake Eyre – einen Punkt, der unter dem Meeresspiegel liegt. Am nächsten Tag fuhren wir ohne Gepäck zum tiefsten Punkt Nordamerikas namens Badwater. Hier wird „Wüste satt“ definiert, es wächst nichts mehr, Salz-/Steinwüste umgeben von hohen Bergen die bis über 3000m reichen, und das Tal zu einem der trockensten Gegenden der Erde machen. Von den im Sommer herrschenden Durchschnittstemperaturen von über 40 Grad spürten wir nichts mehr, auch hier war der Herbst angekommen und wir fröstelten eher bei den 20 Grad.
Die Fahrt aus dem Death Valley heraus sah auf dem Höhenprofil schon böse aus, von unter Meeresspiegel sollte es so gut wie konstant mit 8-10 % auf den 1500m hohen Pass gehen. Dazu gab der Wetterdienst eine Unwetterwarnung wegen stürmischer Kaltfront (mit Gegenwind für uns) für den Folgetag heraus. Auf einem Drittel der Passhöhe war aber ein kostenloser Campingplatz mit dem Wichtigsten in dieser Gegend: Trinkwasser (woher auch immer das kommt). So fuhren wir von Furnance Creek zu diesem Campspot mit genügend Essen um den Folgetag im Sturm aussitzen zu können. Der nächste Tag begann mit Windstille und wir waren die Einzigen, die das Zelt mit allen Heringen am Boden festgenagelt hatten. Um die Mittagszeit rollte dann die Kaltfront über die Berge hinunter, ganz ohne Niederschlag aber mit Sturmböen die es in sich hatten. Wir halfen einer Frau die in ihrem Zelt kauerte, das im Wind wild flatterte und von keinem Hering mehr festgehalten wurde. Mit großen Steinen befestigten wir dann auch unser Zelt zusätzlich und verkrochen uns in die warme Höhle, die die ganze Nacht vom Wind geprügelt wurde. Wir sind immer wieder froh, dass wir mit unserer Materialwahl verdammt gut lagen!
Der nächste Tag sollte stürmischen Wind von hinten (!) bringen, in den Genuss kamen wir aber leider erst, als wir schon fast auf der Passhöhe standen. Bei nur wenig über 0 Grad wurde es hier empfindlich kalt, was aber das kleinste Problem war. Der Wind war so stark dass er uns beängstigend anschob, was zusammen mit den fast 10% Gefälle zu neuen Highspeed Rekorden führte – mit deutlich über 80 km/h schossen wir den Pass hinunter. Unten angekommen beendeten wir den Tag. Weiter ging es in einem Paralleltal vom Death Valley, mit ziemlich ähnlicher Optik und Einsamkeit und – wie immer – garniert mit ordentlich Höhenmetern.  Über die heruntergekommene Bergbausiedlung Trona und der Militärstadt Ridgecrest ging es weiter gen Südwesten und via Mojave-Wüste bis nach Lancaster. Hier beendeten wir unsere Tour durch Nordamerika mit dem Fahrrad, da schon hier viel Verkehr – wegen Nähe zu Los Angeles und den 15 Millionen Menschen – zu spüren war. Von Lancaster fährt der Zug nach Los Angeles und zudem gab es einige Sachen zu organisieren: Stephan machte eine 550 Dollar schwere Erfahrung mit einem Zahnarzt für zwei Füllungen, und für unsere Fahrräder fanden wir einen guten Fahrradladen. Nach 16.672 Kilometern seit Beginn unserer Reise war es an der Zeit Verschleißteile wie Kette, Kassette und Bremsbeläge auszutauschen. Mehr Statistiken hier: www.xross-country.net/statistiken. Auch wir freuen uns über eine Verschnaufpause und werden – analog Hawaii – gute zwei Wochen in Costa Rica die Räder ruhen lassen. Nach Weihnachten geht es von Feuerland, am südlichsten Zipfel Südamerikas, gen Norden liegend und bummelnd weiter.

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