Das Schöne an so dünn besiedelten Regionen wie Patagonien ist, dass sobald man die (kleinen) Städte verlässt, sofort Ruhe einkehrt. Bei kaum mehr Verkehr, wenig Wind und Sonne satt verließen wir Puerto Natales nach Norden, das vorletzte größere Stück Pampa stand auf dem Programm. In Cerro Castillo ging das Länderhopping zwischen Argentinien und Chile in eine neue Runde. Die Länder mögen sich immer noch nicht so wirklich, was bei den grenznahen Straßen oft deutlich wird. Wenig bis gar nicht gewartete Kilometer an Schotterpisten im Grenzbereich wirken nicht so einladend, abhalten tut das aber natürlich auch niemand. Als dann die Straße (Ruta 40) für uns immer mehr nach Osten abbog, der Westwind wieder ordentlich zugelegt hatte, gab es kein Halten mehr: Wellig ging es leicht bergab in der argentinischen Pampa, wir spürten selbst bei 40 km/h schneller Fahrt noch den Rückenwind an den Ohren – was unser breitestes Grinsen erklärte. Nach fast 120 km stoppten wir im Ort Tapi Aike, mit immerhin einer Tankstelle, Polizeistation und einem Bauhof. Wir fragten nach Wasser und einem windgeschützten Platz für unser Zelt. Keine fünf Minuten später standen wir in einem Bauwagen (mit Schlafkabine für die Bauarbeiter) und waren zum Abendessen eingeladen! Bei Milanese und Limonade saßen wir in der warmen Stube des Bauhofleiters, davor gab es noch eine heiße Dusche im Bad der Polizeistation. Für uns immer wieder unglaublich schön und berührend, wie offen und entspannt die Menschen sich hier uns gegenüber verhalten. Nach einer Nacht im windstillen Bauwagen ging es für uns auf der alten Ruta 40, weil 90 km weniger, weiter. Nun aber auf Schotter, der auf den ersten 30 km oft sehr grob aber noch gut fahrbar war. Nach etwa der Hälfte der Strecke hatten uns immerhin 3 Autos überholt und trotzdem gab es hier eine Polizeistation im Nichts; wer einen einsamen Arbeitsort sucht ist hier richtig. Der Polizist gab uns wieder gerne Wasser und die letzten 30 km auf dem nun viel besseren Schotter liefen wie am Schnürchen mit einem über 20er Durchschnitt – mit unseren voll gefederten Liegerädern bretterten wir und auch dank dem Wind – auf dem Schotter zurück zum Teer. Wir waren dort noch nicht ausgelastet und fuhren bei sich verfinsternden Himmel weiter, und fanden eine Brücke, wo das (trockene) Flussbett betoniert war, und einen guten Platz für unser Zelt bot. Außer unter Brücken ist in der Pampa meist kein Windschutz zu finden, kein Baum weit und breit und die wellige Landschaft ist zu wenig steil und zudem noch komplett eingezäunt, um einen natürlichen Windschutz zu bieten. Unser „Nest“ unter der Brücke teilten wir dann mit einem argentinischen Radlerpärchen, dass wir paar Stunden davor überholt hatten. Sie waren recht froh über den Platz und konnten ihr Zelt im Windschatten von unserem aufstellen, weil ihr Zelt trotz großer Steine im starken Wind sonst kaum zu bändigen war. Tunnelzelt im Tunnel heißt unsere windschnittige Lösung.
Der nächste Morgen begann windig, kalt und neblig, es waren aber nur noch 15 km bis zum höchsten Punkte des Hochplateaus. Dort angekommen tobte der Wind seitlich von hinten, was sehr seltenen Wind aus Ost bedeutete. Im Föhnsturm ließen wir uns den Pass mit über 70 Sachen runterblasen. Wie im (Meteorologie-) Bilderbuch lösten sich die Wolken knapp unter dem Kamm auf, und wir fuhren aus dem kalten Nieselregen in die Sonne. Vom Lee ins Luv in nur wenigen Minuten mit einem grandiosen Naturschauspiel bzgl. der Wolken und Stimmungen inklusive. Wir lieben es weiterhin wenn Wettervorhersagen und unsere damit verknüpften (Fahr-) Pläne so gut aufgehen. Bei bestem Wetter mit Blick auf den türkisblauen Lago Argentino und den vergletscherten Anden erreichten wir schon mittags die Stadt El Calafate nach über 75 km, und machten es uns auf dem netten Campingplatz mitten in der Stadt an einem Bächlein gemütlich.
El Calafate ist eine ausschließlich durch den Tourismus gewachsene Stadt, deren Hauptattraktion der Gletscher Perito Moreno darstellt. Und ja: Wir fanden es überaus beeindruckend vor dieser Gletscherzunge zu stehen, die über 50 Meter aus dem Wasser ragt und mehrere Kilometer (!) breit ist. Der Gletscher kalbte bei uns so alle 30 Minuten, wobei hier Hausgroße Eisbrocken, nach lautem Knacken, die paar Dutzende Meter mit viel Radau aufs Wasser knallten. Einmalig schön war auch die bläuliche Farbe des Gletschereises, mit dahinter liegenden frisch verschneiten Bergspitzen und teils stark vergletscherten Flanken.
Nach so viel Touristenprogramm in El Calafate freuten wir uns dann auf den endgültig letzten Pampa-Abschnitt auf dem Weg nach El Chalten, wieder ging es für über 220 km durch welliges, baumloses und so gut wie nicht besiedelte Gebiete. Die Strecke bot wieder ein phänomenales Panorama, von einem türkisblauen Gletschersee und Flüssen zum Anderen ging es durch die ansonsten furztrockene bräunliche Pampa – mehr Kontrast geht fast nicht! Und schon hier, aus großer Entfernung, war der sehr markante Berg „Fitz Roy“ am Horizont zu sehen, an dessen Fuß das Dörfchen El Chalten liegt. Von anderen Radlern hörten wir von einem pinken leerstehenden Haus in machbaren 90 km von El Calafate aus entfernt, wo schon einige Tourenradler genächtigt hatten. Meist im Schutz vor Wind und Kälte, wir kamen aber bei schönsten Sommerwetter an, badeten noch im nahen Fluss und suchten uns das schönste Zimmer im ehemaligen Gasthaus aus. Die Wände sind voll bemalt und beschrieben von anderen Radfahrern, viele hunderte müssen hier schon geschlafen haben und trotzdem (oder gerade weil) war es mehr als ausreichend sauber. In den zwei Folgetagen bog die Straße wieder nach Westen ab, der Wind legte wieder ordentlich zu, und wir bekamen nochmal eine Dosis patagonischen Gegenwind ab. Den markanten Fitz Roy hatten wir dabei immer im Blick, dem wir aber, trotz voller Kraft auf den Pedalen, mit kaum 10-15 km/h sehr mühsam näher kamen. Die harten Stunden im Gegenwind nach El Chalten waren aber, wie schon so oft aus unserer Reise, dass gewisse Salz in der (Reise-) Suppe. Sehr einprägsam sind solche Abschnitte, die für uns zwar grenzwertig fordernd aber doch irgendwie wunderschön sind. Das intensive Gefühl sein gesetztes Ziel zu erreichen, es geschafft zu haben, wurde auch hier mit einem Panorama auf diesen Kilometern mit wahrlich erster Klasse versüßt. Neben uns nur trockene Pampa, unterbrochen durch den der türkisblauen Lago Viedma, und direkte Fahrt auf die stark vergletscherte Andenkette mit dem alles überragenden Fitz Roy. Sooo nice!
Im sehr überschaubaren Ort El Chalten steuerten wir das uns wiederum empfohlene „Casa de Ciclista“, in diesem „Fahrradhaus“ gab es eine spezielle Art von Gastfreundschaft für Fahrradreisende. In einem provisorisch fertiggestellten Minihaus lebt eine überaus liebeswerte Frau namens Florencia mit ihren Kindern auf keinen 20qm. Ihr Haus und der Garten (auch nur ca. 40 qm groß) stehen endgeldfrei für Reisende via Rad zur Verfügung. Soweit so gut, am ersten Abend waren wir aber 25 Radler, am 3ten Tag fast 40 – und jetzt braucht es nur wenige Phantasie, wie der Garten voll gepflastert mit Zelten aussah, und es auch im Haus zuging. Ein bunter Haufen von Leuten aus aller Welt fällt hier ein, Langweilig wird es hier also so schnell nicht. Zudem wird jeden Abend gemeinschaftlich gekocht und die Ausgaben geteilt, die Gastgeber sind selbstverständlich eingeladen. Am letzten Abend gaben wir, Bob und Nino (http://www.apedalingadventure.com/) für fast 40 hungrige Leute unser Bestes und schälten Kiloweise Zwiebeln, Kartoffeln und natürlich Knoblauch – gepaart mit einem halben Dutzend Kilogramm Nudeln. Praktischerweise ist Nino im „normalen“ Leben in Holland angehender Chefkoch und so schmeckte es, trotz dieser enormen Menge, allen sehr gut.
Die beiden holländischen Jungs waren uns sympathisch, und so fuhren wir die ersten Tage am El Chalten zusammen weiter. Fahren ist gut, so viele Fotostopps wie zwischen El Chalten und dem Lago del Desierto hatten wir selten. Die Schotterstraße war soweit gut fahrbar und das Panorama lenkte eh mehr als genug vom Straßenbelag ab. Gigantisch schön diese Gegend! Über den See nahmen wir die Fähre und genoßen den perfekten Campspot bei sommerlichen, und sogar fast windstillen, Wetter mit genialem Blick auf den Fitz Roy. Von hier aus ging dann nur noch ein Wanderweg über die Grenze von Argentinien nach Chile weiter. Was hatten wir schon für heftige Storys (Pfad zu schmal für Radtaschen, man muss alles 2x laufen etc.) über diese Strecke gehört, immerhin gute 300 Höhenmeter und ein steiler Weg über kleine Bäche hinauf auf die Passhöhe, die gleichzeitig die Grenze darstellt. Grenzposten gibt es hier keinen, den Stempel holt man sich jeweils paar Kilometer entfernt ab. Nach 3 Stunden für 6km standen wir auf der Passhöhe, ein durchaus anstrengender Anstieg, weil alles geschoben werden musste, aber keineswegs kriminell – immer noch am besten, wenn man sich selbst ein Bild macht. Schieben von Liegerädern ist wegen des tiefen Lenkers sehr unbequem, wir halfen uns mit Gurtbändern an den Lenkern. So konnten wir ganz entspannt die Räder von hinten schieben und „fernsteuern“. Es ist definitiv für jeden Radler machbar, und wir haben nicht eine Tasche vom Fahrrad genommen und kamen gut durch. Von der Passhöhe führte uns dann eine teilweise wirklich heftige Schotterpiste extrem steil runter zum Lago O´Higgins und damit nach Chile. Diese Schotterpiste war für uns gerade noch so fahrbar, auch wenn teilweise mit beiden Bremsen fast bis zum Anschlag gezogen, um ja nicht zu schnell über die groben Steine zu holpern. Die Schürfwunden einiger andere Radler waren dann Zeugnis genug, dass die Abfahrt eigentlich heftiger ist, als der Aufstieg. Dieser etwas abenteuerliche Grenzübergang war aber auch ein guter Vorgeschmack darauf, was uns nach der Fährfahrt nach Villa O´Higgins erwarten sollte. Dort begann für uns die legendäre Straße „Carretera Austral“, eine über 1000 km lange Schotterpiste gen Norden durch bergiges, sehr dünn besiedeltes und damit sehr einsame Gegend. Also genau unser Ding, mehr dazu im nächsten Blogeintrag!
Hallo Daniela, hallo Stephan,
eine tolle, inspirierende Seite habt ihr hier aufgebaut. Ich plane in Zukunft ein “halbjaehriges Sabbatjahr” und möchte das auch mit meinem Liegerad angehen.
Die Reise wird zwar nicht so umfangreich wie Eure, aber sicherlich auch ein grosses Abenteuer für mich.
Euch weiterhin tolle Erlebnisse, bleibt gesund, ich werde weiterhin mitlesen!
Viele Grüße aus dem Norden Deutschlands
Tim.