Liegebummler – Weltreise mit dem Liegerad

Mitteleuropa – slowly coming home

Probefahrt auf anderem Liegerad bei Karlsruhe

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Probefahrt auf anderem Liegerad bei Karlsruhe


Nach genau 570 Tagen unterwegs radelten wir über die Grenze von Holland nach Deutschland ein, und irgendwann änderte sich nichts außer der Farbe der Schilder. Unspektakulär und doch irgendwie denkwürdig zugleich fühlte sich dieser Augenblick an. Unser Plan mit dem langsamen nach Hause kommen schien aufgegangen zu sein. So radelten wir sehr entspannt, und ohne – für unsere Verhältnisse – Abenteuer einmal diagonal auf über 1500 km durch Frankreich.
In Frankreich fanden wir zwar nur sehr selten Fahrradwege, dafür boten aber die unendlich vielen kleinen – und bestens geteerten – Departmentstraßen reichliche Platz und Ruhe. Einzig nervig war der verkorkste Frühsommer 2016 in Europa, mit viel zu viel Regen und Temperaturen nur wenig über dem Kühlschrank. Nirgends sonst – wie hier in Mitteleuropa – hat es uns auf unserer Reise so oft „angepisst“, einmal saßen wir 4 Nächte auf einem leeren Municipal-Campingplatz im Zelt bei kaltem Dauerregen fest – aber auch sowas ließ uns so schnell nicht die Laune verderben. Unser Zelt ist unsere Homebase, wo wir uns wohl fühlen, auch wenn wir paar Tage am Stück dort verbringen – spricht für unser Zelt, und auch für uns.
Von den Pyrenäen steuerten wir direkt das Zentral Massiv an, auf dem Weg dorthin wurde schon klar, wieso Frankreich (auch) ein Agrarstaat ist. Durch sehr dünn besiedelte Regionen fuhren wir durch die allgegenwärtige Landwirtschaft, die immer wieder durch nette (Klein-) Städtchen unterbrochen wurde. Wir taten es der diesjährigen Tour de France gleich, und überquerten den höchsten Pass im Zentral Massiv; der Col du Pas de Peyrol hat mit seinen 1589 m ü.M. seinen Namen auch wirklich verdient. Über viele Kilometer ging es konstant mit 8 % und mehr hinauf, durch sattgrüne – aber gleichzeitig sehr steile – Hänge schlängelte sich die Passstraße in die Wolken hoch. Oben gab es immerhin noch ein kurzes Wolkenloch, und wir mussten mit Handschuhen und Regenkluft den Pass runterfahren, so bitter feuchtkalt war es dort oben.
Nahe den berühmten Vulkanen um den Puy de Dome besuchten uns Danielas Eltern, über 17 Monaten Abstinenz war eine lange Zeit, die Freude dementsprechend groß und die Abende lang. Wir genossen die Tage sehr, unseren Bewegungsdrang bekam dafür das Stehpaddel zu spüren – und endlich durften unsere Arme auch mal etwas machen, durch das Liegeradfahren werden sie nämlich so gut wie gar nicht beansprucht. Das Zentralmassiv und die Region Puy de Dome ist super schön, aber nachdem die nächsten Regentage anstanden, fuhren wir schnell runter ins Flachland. Wir nutzen die großen Flüsse Loire und Seine um nach Norden zu kommen, Paris stand als nächstes auf dem Programm.
Das sattgrüne Frankreich hörte viele viele Kilometer vor Paris auf, durch die vielen großen Vorstädte ist viel zubetoniert, weil so dicht besiedelt. An der Seine ging es aber trotzdem einigermaßen friedlich bis ins Herzen der Millionenmetropole Paris, wo wir einige Tage blieben. Seit langem fanden wir mal wieder eine Großstadt attraktiv, das letzte Mal war dies Melbourne. Von den Anschlägen und Angst war außer paar patrouillierenden, schwer bewaffneten Polizisten nichts zu sehen. Wir fragten einige Pariser und bekamen nur entspannte Antworten zurück. Verrückt macht sich hier niemand, das (Stadt-) Leben geht unberührt seinen Gang weiter, niemand änderte seine Alltagsgewohnheiten. Auch dank der EM war natürlich Paris gut gefüllt, umso größer war dann aber wieder Kontrast, als nach paar dutzend Kilometer aus Paris raus, die Weizenfelder und nur noch sehr ländlichen Dörfer das Bild prägten.
Nach Lille war dann Belgien nicht mehr weit, wo das Fahrradparadies der Beneluxstaaten schon anfing. Mehr Fahrradwege wie Straßen, überall gute Beschilderung und Rückenwind für uns – so war Belgien und die Niederlande schnell durchquert. Alles sehr unspektakulär und so einfach, dass eben genau das Gefühl eintrat, welches wir geplant hatten: Sättigung, und das der Zeitpunkt vom Ende der Reise richtig ist. So war es dann doch mehr ein Lächeln, als wir über die Grenze nach Deutschland fuhren. Es ist gut, wir haben so viel gesehen, so viel erlebt, viele verschiedenen Menschen kennengelernt, was im normalen Alltag niemals möglich ist – und sind damit reich und reifer geworden.
Aktuell sind wir noch auf der rund 1500 km langen Deutschlandtour, besuchen Verwandte und Freunde – also weiterhin ein slowly coming home. Eilig haben wir es nämlich trotzdem nicht nach Hause zu kommen, weil wir noch nicht wissen, wo das genau sein soll.

3 thoughts on “Mitteleuropa – slowly coming home

  1. Norbert Wegele

    Und falls Ihr auf eurer Tour auch noch Richtung Waiblingen bei Stuttgart kommt, seid ihr auch bei mir gaanz herzlich willkommen.
    Meldet euch, falls es klappen könnte.
    Ganz liebe Grüße von
    Norbert (Motorradfahrer aus Alaska)

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