Liegebummler – Weltreise mit dem Liegerad

Feuerland & südl. Patagonien – into the wind

Der Startpunkt am südlichsten Zipfel auf dem südamerikanischen Kontinents, in Ushuaia auf Feuerland, war von uns bewusst, aber auch mit etwas Unbehagen, gewählt worden. So ist durch die klimatischen Bedingungen (Roaring forties) vorgegeben, dass wir unter Garantie einige harte Gegenwindpassagen bekommen sollten, weil hier praktisch immer starker Wind aus westlicher Richtung bläst. Aber durch den Start nur 1000 km von der Antarktis entfernt hatten wir Richtung Norden die zeitliche Freiheit, unsere Reise (fast) nach Belieben fortzuführen. Außerdem war bei unserer Landung an Heilig Abend 2015 in Ushuaia (Argentinien) Hochsommer, was immerhin rund 15 °C bedeutete, aber eben gleichzeitig auch die windigste Jahreszeit – dazu aber später mehr.
Auf unserem Flug von Costa Rica via Bogota und Buenos Aires nach Ushuaia bangten wir wieder etwas mit unseren Rädern, zum Glück aber wieder ungerechtfertigt: Alles kam unbeschadet und vollständig mit uns zusammen nach einem 24h Trip an. Mangels großem Taxi stiegen wir einzeln in Taxis ein, und prompt sahen sich die beiden Taxifahrer dazu motiviert uns abzuzocken. Als wir bei der Unterkunft ankamen wollten sie einen Fahrradaufschlag, und zwar bei beiden Taxis – obwohl nur in einem die beiden Kartons lagen. Verweis auf das Taximeter überzeugte nicht. Zum Glück kam die Vermieterin der Lodge uns zu Hilfe; kurze Zeit später fuhren die beiden Taxifahrer grummelnd weg. Erster Kontakt mit Südamerika, kann ja heiter werden – dachten wir uns im ersten Moment.
Von dem Flug waren wir ziemlich platt und genossen die liebevolle eingerichtete Cabin (Link zu TripAdvisor) mit täglich frisch gebackenen Brot und Kuchen von der herzlichen Familie, in dessen Garten die kleine Hütte stand. Ansonsten bot Ushuaia nichts Großartiges, die als südlichste Stadt der Welt gilt und auf uns keinen Charme ausübte. Es war aber trotzdem für uns in einer Form etwas Besonderes an diesem Ort zu sein, vor allem wenn man einen Blick auf die Weltkarte warf und sich irgendwo ganz unten links wiederfand. Als wirklichen Startpunkt wählten wir dann auch den südlichsten Punkt Feuerlands, der via (Schotter-) Straße zu erreichen ist: Am legendären Schild am Ende der Ruta 3 wimmelte es von anderen Touristen, die – mal wieder – die Kreuzfahrschiffe ausgespuckt worden haben, und via Taxi zum Showpoint gefahren wurden. 17848 km sollen es laut dem Schild von hier nach Alaska sein, wir wären also schon fast – rein kilometertechnisch – die komplette Panamerica gefahren.
Von Ushuaia ging es recht wellig auf die ersten Etappen nach Tolhuin, wo wir zielstrebig die legendäre Bäckerei La Union ansteuern. Viel hatten wir schon darüber gelesen, aber nach etwas Verwirrung am Anfang zeigte uns der Inhaber wie man hier Gastfreundschaft zelebriert. Beim Nachbarhaus, wo auch Angestellte der Bäckerei wohnen, durften wir alle im Fitnesskeller unsere Matten ausbreiten. Die heiße Dusche neben der Backstube und Mehlkammer war wie selbstverständlich inbegriffen. Den Schalter haute es uns aber dann raus, als wir noch zu einem Mitarbeiter-Essen (die Argentinier essen erst ab 22 Uhr zu Abend, frühestens!) in der Backstube der recht großen Bäckerei eingeladen wurden. Es gab Asado vom Feinsten mit viel Fleisch in Form von Spanferkel, Würsten usw. Alles kostenlos und eigentlich nur, weil der Inhaber der Bäckerei einen Narren an Reisenden, vor allem Fahrradfahrern, gefressen hat. Seit zig Jahren schlagen hier Reisende auf, jeder Radler (und das sind nicht wenige pro Jahr) ist willkommen, einfach so weil man Prioritäten auch selbstloser setzen kann. Für uns war dies der richtige Start in Südamerika und gleichzeitig auch das „Herzlich willkommen in Südamerika!“.
In Rio Grande stockten wir unsere Essensvorräte massiv (für fünf Tage) auf, wobei es eigentlich nur 230 km zum nächsten Ort Porvenir gehen sollte. Davor landeten wir mit etwas Glück bei der kleinen Schule einer Estancia (eine typische große Schaffarm mit recht autarker Infrastruktur), wo uns die Köchin mit Gastfreundschaft überhäufte. Ein heißen Kaffee, Trinkwasser und einen Platz zum Zelten nahmen wir dankenswert an. Sie fragte den vorbeireitenden Gaucho (wie aus dem Bilderbuch auf dem Pferd, sonnengegerbtes Gesicht usw.) davor noch um Erlaubnis.
Beim Blick auf die Landkarte und Wettervorhersage war dann klar: Jetzt kommt bald das, woran viele Fahrradfahrer hier schon verzweifelt sind, warum es in Feuerland nur einen Chef gibt, und der heißt Wind, Wind und nochmals: Wind! Was die Geschichte noch verschärfte war, dass ab der Grenze (San Sebastian) die Straße nur noch geschottert ist, mal mehr und mal weniger grob. Wasser ist zudem auch noch Mangelware, so fuhren wir mit 25 Liter Wasser von der chilenischen Grenze los direkt gen Westen. Woher der Wind hier praktisch immer kommt? Genau, direkt von Westen und damit direkt auf die F….. – der Wetterbericht sagte 40-50 km/h im Mittel voraus, mit Spitzen bis 70 km/h. Auf einer nahen Wetterstation wurden später Böen über 100 km/h gemessen. Das war dann doch eine Liga Wind, wo wir bisher ganz sicher Ruhetage eingelegt hätten. Aber hier hat man keine Wahl, wenn man hier radelt muss man durch den Wind, und wir waren hier mit voller Absicht und dem Bewusstsein, dass es hier richtig ballert. Unglaubliche lange drei Fahrtage benötigten wir für die 140 km auf Schotter und dem unbarmherzigen Wind, jeden Tag saßen wir fast 5 Stunden im Sattel für läppische 40-50 km. Um 4 Uhr morgens standen wir auf, um wenigstens noch eine Stunde bis Sonnenaufgang im nur 30-40 km/h starken Wind etwas schneller voran zu kommen. Eine nächtliche Inversion und Abnahme des Windes gibt es hier auf Grund der Labilität fast nicht, beim ersten Sonnenstrahl ging das Getöse schnell auf volle Laufstärke über. Wegen den nur knapp 10 Grad war es auch sehr frisch, und wir waren froh um Handschuhe und Daunenjacke, so konnte uns der Wind nicht sofort auskühlen.
Die Frage „warum tut man sich das freiwillig an?“ stellte sich für uns aber trotzdem nicht. Die Fahrtage im bzw. gegen Wind fielen für uns ganz klar in die Kategorie Abenteuer und dem Bestehen gegen die Naturgewalten, wo uns Menschlein die wahren Machtverhältnisse deutlich gemacht werden. Die gigantisch schönen Sonnenaufgänge in der windumtobten Pampa auf Feuerland ließen die Mühen nicht vergessen, aber auf eine Art konnte wir es doch genießen hier zu sein, weil nämlich die Reduktion auf das Wesentliche hier wieder richtig zur Geltung kam. Was haben wir uns ehrlich gefreut, dass unsere Informationen über eine kleine Schutzhütte gestimmt hatte, und eine windstille Nacht gesichert war. Rein krafttechnisch fühlten sich die Stunden im Wind mit um die 10 km/h für uns so an, als ob man den ganzen Tag einen Berg hochfuhr, also immer mit viel Kraft. Den windschnittigen Liegeradbonus und unserem Trainingslevel sei Dank erreichten wir K.O. aber nicht völlig verausgabt Porvenir, wo wir direkt die Fähre von Feuerland auf das Festland Südamerikas (Punta Arenas) nahmen.
Nach ein paar Tagen in der beschäftigten und von Touristen gut besuchten Stadt ging es wieder auf die Räder, diesmal aber in eher nördlicher Richtung, was bei starkem Westwind einen Seitenwind bedeutete, der es vor allem einen Tag in sich hatte. Zum Glück kam der Wind von links, so drückte uns der Wind „nur“ auf den nicht befestigten Seitenstreifen, und nicht auf die Fahrbahn hinaus. Da es auch hier Verkehr (im Vergleich zu den USA aber sehr schwachen) gab, war der Seitenwind fast schon anstrengender als der direkte Gegenwind. Auch noch so konzentriert fahrend konnten wir gar nicht schnell genug dagegen lenken, wie uns der Wind einfach einen Meter nach rechts versetzte. Wir fuhren sicherheitshalber bei jedem größeren Fahrzeug freiwillig in den Schotter oder hielten gleich an.
Jeden Tag galt es hier einen windgeschützten Schlafplatz zu finden, im direkten Starkwind zu zelten wäre sehr laut und ungemütlich geworden. So schliefen wir in leeren Hütten, neuen Pferdeställen (nach Empfehlung der Polizei) oder auch unter Brücken immer windgeschützt und ruhig. Die Hilfsbereitschaft und Offenheit empfanden wir immer als sehr groß, zwei Beispiele: Einmal hielt ein Chilene paar Kilometer vor uns an, nachdem er uns langsam überholt hatte. Er hatte zwei Becher heißen Kaffee für uns in der Hand, und bat uns etwas von seiner guten Sonnencreme zu benutzen. Weiter war bezeichnend, wie wir den chilenischen „Freund & Helfer“ in Form von den häufigen (und sehr einsamen) Polizeiposten kennenlernten: Mehrere Mal fragten wir bei der Polizei nach Trinkwasser oder Schlafplätzen und bekamen immer Unterstützung. Auch wenn wir uns fast nicht unterhalten können gab es nie Hemmungen uns in die eigene Wohnküche zu führen, unser Wasser aufzufüllen und uns lächelnd zu verabschieden, Tipps für Schlafplätze inklusive. Aus Spaß werden wir – wenn wieder in heimischen Breitengraden – zu einer Dorfpolizei radeln, nach Wasser und einen kostenlosen Platz für unser Zelt fragen.
Nach vielen Tagen in flacher bis etwas welliger Pampa zeigten sich auf dem Fahrtag nach Puerto Natales die Anden in voller Pracht. Stahlblauer Himmel, blühende Wiesen, Lupinienfelder, vergletscherte Berge und tiefblaues Meer davor – ohh yeah, wenn sich da nicht mal wieder jeder Meter gelohnt hat! Der nahe Torres del Paine Nationalpark ist ein must see, wenn man schon in dieser Ecke der Welt ist. Auch wenn der Park nach amerikanischen Vorbild sehr kommerzialisiert ist, ist die Landschaft dort einfach der Hammer. Mit unseren Fahrradschuhen machten wir nur eine zwei Tagestour, und waren muskulär danach trotzdem bedient – immer wieder erstaunlich, was für andere Muskeln man für das Laufen im Vergleich zum Radeln benötigt. Der Sonnenaufgang bei den Torres-Türmen war großes Kino, hier sprechen die Bilder mehr als Worte.
Nach einigen Ruhetagen in netten Städtchen Puerto Natales geht es für uns nun wieder für einige 100 km durch die Pampa, bevor die südlichen Anden dann so richtig anfangen.

One thought on “Feuerland & südl. Patagonien – into the wind

  1. Tim Warkentin

    Hallo Daniela, hallo Stephan,

    eine tolle, inspirierende Seite habt ihr hier aufgebaut. Ich plane in Zukunft ein “halbjaehriges Sabbatjahr” und möchte das auch mit meinem Liegerad angehen.
    Die Reise wird zwar nicht so umfangreich wie Eure, aber sicherlich auch ein grosses Abenteuer für mich.
    Euch weiterhin tolle Erlebnisse, bleibt gesund, ich werde weiterhin mitlesen!
    Viele Grüße aus dem Norden Deutschlands

    Tim.

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