Die Carretera Austral, eine ganz schöne Tour und wegen häufigem Cardio-Trainung auch manchmal Tortur mit schweren Rädern. Diese rund 1300 km lange, zum größten Teil nicht geteerte, Nord-Süd-Verbindung mitten in den chilenischen Anden hatte uns nach Villa O´Higgins gelockt, an das derzeitige Ende dieser Straße. Seit 40 Jahren wird (auch weiterhin) an der Strecke gebaut, mit viel Dynamit durch die Fjorde gesprengt (es gibt nur einen einzigen Tunnel über paar 100 Meter), die hoch auf Pässe und wieder runter in Täler geht und mittlerweile auch etwas asphaltiert ist und wird. Der Straßenbau basiert auf der (Wahn-) Vorstellung der ehemaligen Militärdiktatur auch den südlichen Teil Chiles via Straße zu erschließen, was bis dahin nur über Wasserweg, ober über den Erzfeind Argentinien möglich war. Daher wurde die Straße ausschließlich in Chile in diese praktisch unbesiedelte und wilde Region geschlagen, was aber auf Grund der geographischen Gegebenheiten extrem aufwändig und kostspielig war und ist. Bis heute ist ein großer Teil der Strecke immer noch eine einspurige Schotterpiste mit der kompletten Bandbreite bzgl. des Belages. Von feinem Split (sehr selten) über nerviges Wellblech (gefühlt fast immer) bis zu Geröllhalde ähnlichen Untergrund fanden wir alles vor. Alles schon gehabt, aber nicht garniert mit Steigungen bis 20 % und einem überaus welligen Profil, nach 50 km waren die 1000 Höhenmeter oft schon erreicht. Durch den oft schlechten (d.h. nur langsam zu fahrenden) Straßenzustand kamen wir selten auf Tages-Durchschnitte von über 14 km/h – hört sich mühsam an? War es auch teilweise, aber ebenso oft auch durch großartige Landschaft und Einsamkeit belohnt; eine ganz schöne Tortour eben, dazu nun mehr.
Gestartet von Villa O´Higgins sind wir mit den Holland-Jungs Nino & Bob und einem Hund, der auf dem Campingplatz rumstreunte. Erst belächelten wir ihn, als er uns auf den Steigungen voraus rannte, oben auf uns wartete und uns erwartungsvoll anschaute. Nach 50 km lief er immer noch locker flockig mit uns auf dem Schotter mit. Als wir nach rund 70 km und viel auf und ab in einem großen Flussbett müde unsere Zelte aufschlugen, ließ er nicht von uns ab, verbellte jedes Rascheln in Büschen – wir waren wohl sein neues (Radl-)Rudel. Nachts wurde es dann empfindlich kalt, und Stephan hatte irgendwann genügend Mitleid vom winselnden Hund, und ließ ihn ins Vorzelt hinein. Nach einem zufriedenen Seufzer schlief der Hund dort bald ruhig ein, am nächsten Morgen stand ein freudestrahlender Hund neben unseren Rädern. Nach sehr hügeligen 30 km erreichten wir die erste Fähre im Nichts: Die Fähre gibt es nur, weil die Straßenbauer keine Chance sahen, hier irgendwo überhaupt einen Weg in die sehr steilen Fjorde zu schlagen. Der Hund setzte sich an die Schutzhütte und kam nicht mit auf die Fähre, als ob er das nicht das erste Mal gemacht hat, und dort nun auf die nächsten Radler wartet. Ein Hund der uns über 100 km auf Schotter und vielen Höhenmetern folgte war dann doch eine Show, Superdog! Nach der Fähre ging es verrückt steil auf den nächsten Pass, selbst mit einem leichten Mountainbike hätten wir hier wohl hochschieben müssen. Bei fast 20 % Steigung, ausgewaschenen Fahrrinnen und weichen Schotter garniert mit Wellblech hieß für uns, mit den schweren Liegerädern, ganz klar: Schieben. Oben angekommen ging es sofort rasant wieder runter, wo eine der sehr seltenen Abzweigungen wegging. Gute 20 km fuhren wir auf der Einbahnstraße nach Caleta Tortel und bereuten es ziemlich schnell. Der sehr weiche Belag und Gegenwind ließen uns nach anstrengenden 90 km spät im kleinen Hafendörfchen ankommen, wo es keine Straßen gibt, sondern nur Holzstege, und erst seit 2003 überhaupt einen Straßenzugang hat. Daniela kaufte bei einer alten Frau paar Brötchen ein, die noch nie in ihrem Leben diese Flecken Erde verlassen hatte – schon speziell.
Von Tortel fuhren in zwei Tagen nach Cochrane, der nächsten Siedlung mit kleinen Supermärkten. Dazwischen kam es zu einer unglaublichen Begegnung: Als wir gerade mal wieder Wasser aus einem Bächlein schöpften hielt ein anderer Tourenradler, und irgendwie kamen wir uns sofort bekannt vor. Nach zwei Sekunden ungläubigen Staunens war klar, dass es Ulli (http://ulli-unterwegs.jimdo.com/) aus dem Allgäu war, den wir vor über einem Jahr (!) in Picton (Südinsel Neuseeland) getroffen hatten. Solche Zufälle und tollen Begegnungen erlebt man wohl nur, wenn man mit dem Fahrrad unterwegs ist. Ulli war aber nicht der einzige Tourenfahrer, es waren so unglaublich viele, dass wir lange nicht mehr bei jedem hielten. Wir zählten über 150 Radler die uns alleine auf der Straße entgegen kamen. Eine richtige Rennstrecke ist die Carretera Austral für Tourenfahrer, wobei der ganz große Teil nur diese Straße fährt. Vor und nach der Carretera war sofort wieder Ruhe.
Von abenteuerlicher Wildnis und Einsamkeit hörten wir von der Careterra, generell empfanden wir die Versorgung aber als überaus einfach (zu planen), da jede kleine Siedlung einen Minimercado mit den nötigen Basics hatte, wo wir oft sogar Obst und Gemüse bekamen – je nachdem, wann der letzte LKW ankam (normal 1x die Woche). Das für uns bisher ungekannt Angenehme war, dass wir nie mehr als einen Liter Wasser am Fahrrad haben mussten. Spätestens alle 10 km fand sich ein super sauberer Bach, der von den allgegenwärtigen Bergen runterkam. Glasklares Wasser, garantiert nicht belastet, weil hier oft nicht außer der Schotterstraße nichts ist.
Mit drei bis 4 Tagen Essensproviant konnten wir sehr flexibel unsere Tagesetappen legen, weil es auf der Strecke wirklich herrlichste Plätze gibt, die danach schreien, ein Nachtlager aufzuschlagen. Dass war für uns auch mental nötig, weil der für uns größte Nachteil von schlechten Schotterpisten ist, dass man die Landschaft nur bedingt beim Fahren aufsaugen kann. Zu sehr waren wir oft mit unseren Augen auf die Straße konzentriert, um eine einigermaßen gute Linie zu fingen. So beendeten wir öfters die Fahrtage am frühen Nachmittag, und genossen die tolle Landschaft, plantschen in Bächen oder Seen. Das war natürlich auch nur möglich, weil das Wetter oft super mitspielte – bei oft strahlenden Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen kommt diese großartige Landschaft überhaupt zur Geltung. Daher legten wir auch in Coyhaique eine 5 Tage lange Pause ein, weil das Wetter eher grau als blau war – Schönwetterfahrer eben!
Um die einzige wirkliche Stadt Coyhaique auf der 1300 km langen Strecke sind mittlerweile rund gute 200 km geteert, was nach fast 500 km Schotter ein derartiger Genuss war, dass wir nur noch so über den Asphalt flogen. Für uns galt die Rechnung: 60 km auf dem oft schlechten Schotter sind mindestens 100 km auf Teer. Was für ein Genuss es doch sein kann, endlich mal die vielen Abfahrten runterrollen zu können, ohne immer auf den Bremsen zu stehen, weil einen das Wellblech fast vom Fahrrad wirft. Die Pässe sind auf der ganzen Strecke nie wirklich hoch, nur einmal ging es über 1000 m.ü.M. – dazwischen ist es aber fast nie flach, obwohl die Straßenbauer meist Tälern gefolgt sind. Aber entweder war das Tal so feucht, dass die Straße wellig in den Hang geschlagen wurde, oder das Tal war zu eng, dass man sie ebenso in die Berghänge geschlagen hat. Und selten verlaufen die Täler in Nord-Süd-Richtung, also hüpft man oft von Tal zu Tal.
Was sicherlich auch nicht einfach beim Straßenbau war und ist, sind die immensen Niederschläge die hier oft fallen müssen. Die großen Flussbetten, Erdrutsche, ausgewaschene Straßen und Wasserfälle ohne Ende sind Zeugnis davon. Richtig imposant sind aber, vor allem im südlichen Teil, die vielen Gletscher die bis auf paar 100 m über Meeresniveau runterreichen. Fast schon surreal für uns, dass wir hier bei oft über 20 Grad ins Schwitzen kamen, und gleichzeitig die „Eiszeit“ auf Augenhöhe hatten. Dank der Eismassen war auch oft das tägliche Badevergnügen sauber zapfig (nur wenig zweistellig, wenn überhaupt), aber ein Genuss ist es jedes Mal gewesen, den Staub und Schweiß loszuwerden. Apropos Staub, die Carretera ist zwar recht einsam bzgl. der Besiedlung, aber wegen Hochsaison (Sommerferien Chile und Argentinien) auf der Straße alles andere als einsam. Ohne 100+ Autos verging kein Tag, also von der Seite her alles andere als einsam und wild.
Von Coyhaique lief es easy bis der Teer wieder aufhörte, und der feucht-kalte Regenwald uns mit Nieselregen begrüßte. Übergroße Rhabarberpflanzen säumten den Straßenrand, und alle 50 Meter kam Wasser von den Hängen runter. Triefend nass ist es hier, und uns hieß dann der Schotter mit dem nächsten steilen Pass willkommen. Die sofort folgende Abfahrt war heftig, weil es mehr und mehr zu regnen begann und alles glitschig wurde, und die Sicht im Nebel sehr beschränkt war. Dass ist also das Wetter, was auf der Carretera durchaus für zwei Wochen sein kann … ja merci. Wir machen direkt zwei Pausentage in Puhuyuapi und sitzen den Regen aus, so wie sich dass für Schönwetterfahrer eben gehört.
Von dort aus ging es dann in die vulkanisch sehr aktive Gegend, wobei das Dörfchen Chaiten hier vor paar Jahren traurig-berühmt wurde. Als der gleichnamige Vulkan ausbrach, wurde durch eine Schlammlawine das Dorf verwüstet, wovon man heute aber nur noch punktuell etwas sieht. Die restlichen Kilometer bis nach Puerto Montt waren wieder durch Fährstücke geprägt, worum wir nicht ganz traurig waren. Etwas müde vom Schotterfahren freuten wir uns schon auf das Erreichen der Stadt und dem Ende der Carretera Austral.
Resume der Carretera Austral, wo wir in 20 Fahrtagen 1262 km mit 18440 Höhenmetern, davon über zwei Drittel auf Schotter, radelten: Das faszinierende Landschaftsbild auf der Strecke wird vor allem dadurch geprägt, dass der Kontrast unglaublich groß ist. Von diesem sehr feucht-kalten Regenwald mit überdimensionalen Gewächsen, über aus den Nordalpen bekannten Fauna und unzähligen Gletschern, bis fast schon trockener Steppe gab es alles – und dies mehrfach wechselnd auf engsten Raum. Dass war dann auch für uns der größte Charme der Strecke, verbunden mit dem sehr einfachen Wildcamping immer direkt an Wasser auf Grund der meist sehr dünnen Besiedelung. Ein wirkliches Abenteuer ist diese Strecke aber (für uns) nicht mehr gewesen, da (zu) viele Autos und touristisch in den Siedlungen recht erschlossen.