Liegebummler – Weltreise mit dem Liegerad

USA – von der Küste via Wüste in die Berge

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Auf der Fähre von Vancouver Island (Kanada) nach Washington (USA) ging es durchaus sportlich zu, stürmischer Seitenwind ließ das nicht gerade kleine Schiff ordentlich schaukeln – der Horizont verschwand mehrmals, wenn man aus dem Fenster schaute. Unsere Fahrräder banden wir mit Seilen an Deck fest und waren sehr froh, dass die Fahrt nur rund zwei Stunden ging. Am späten Nachmittag hieß es dann für uns ein letztes Mal: Einreise in die USA – wieder kein Problem. Allen fiesen Geschichten über die Einreise in die USA können wir bisher nichts hinzufügen, abgesehen von unfreundlichen und forschen Macho-Grenzoffizieren.
Von Port Angeles führte uns der Weg über die Olympic Halbinsel, einem Nationalpark mit viel Wasser und Bergen. Wie schon in Kanada ist aber auch hier die Holzindustrie allgegenwärtig, auf der Straße mit vielen Holzlastern und sonst mit einigen komplett kahl geholzten Hängen. Für paar Kilometer gab es dann nicht mal mehr einen Seitenstreifen, dafür umso mehr enge Kurven mit wenig Sicht. Ein via Knopf zu aktivierendes Warnschild mit Blinklicht für Fahrräder zeigte immerhin etwas Fahrradsympathie. Die Landschaft taugte uns aber, auch dank der vielen Flüssen und Seen wo wir bei warmen Temperaturen unser tägliches Bad genossen.
An der Grenze von Washington und Oregon ging es über eine 6 km lange Brücke nach Astoria, was uns schon mal beeindruckte, die 5% Steigung über mehrere dutzend Höhenmeter mit Baustelle garniert war aber dann die Krönung. In Astoria saßen wir dann in einem Cafe und diskutierten die Routenoptionen: Wir ließen mal wieder das Wetter bzw. dessen Vorhersage entscheiden und fuhren doch nicht weiter die Oregon-Küste gen Süden, sondern bogen schon hier ins Landesinnere ab. Küste abfahren ist schön und nett, aber auf Dauer nicht so spannend und zudem mussten wir langsam auf die Jahreszeiten Rücksicht nehmen. Die Rocky Mountains wollen wir uns nämlich nicht entgehen lassen, was aber beim ersten Wintereinbruch vorbei wäre. Also folgten wir dem großen Strom namens Columbia River genau Richtung Osten und der größten Stadt Portland. Unangenehm viel Verkehr begleitete uns von der Küste bis nach Portland, dafür war der Aufenthalt für zwei Nächte bei Mary aber wieder großartig. Mary, eine rustikale Mathematik-Lehrerin im Ruhestand wohnt in einer 3er WG, weil sie meist das halbe Jahr auf Reisen ist – und dies auch mit dem Tourenfahrrad. Portland war dann doch nicht so groß wie wir dachten, die Innenstadt erinnerte uns ziemlich an Melbourne – definitiv die coolste Stadt bisher in den USA – und nicht nur deshalb, weil sie als eine der fahrradfreundlichsten Städte der USA gilt, sondern weil endlich mal wieder eine Kultur-/Kunst-/Alternative-Szene zu beobachten war, und damit nicht so langweilig wie viele andere, wo neben Shopping Malls nicht viel zu sehen ist. Mary begleitete uns dankenswerterweise auf super Fahrradwegen aus der Großstadt hinaus; wieder ein Kontakt zu einer weltoffenen und intelligenten Amerikanerin, vermutlich weit weg vom Durchschnitt.
Von Portland folgten wir weitere Tage dem Columbia River, teilweise auf einem alten Highway der nur minimal befahren war – eine angenehme Abwechslung. In Oregon ist durchaus zu spüren, dass ein Interesse besteht den Bundesstaat noch fahrradfreundlicher auszubauen. Teilweise gab es aber keine Alternative zum 4-spurigen Freeway, was einem Fahrradfahren auf einer Autobahn in Deutschland gleichkommt. Für uns ist es immer ganz putzig, wenn sich Amerikaner stolz und ehrfürchtig von Fahrradwegen über 20 Kilometer in ihrem Land erfreuen – vielleicht besser das nur wenige wissen, wie weit hier Mitteleuropa entwickelt ist.
Der Columbia River ist weit und breit der einzige Durchbruch eines Flusses durch die Kaskaden-Gebirgskette, wodurch der Weg durchaus interessant ist. Als wir den Hauptkamm überquerten (bzw. in Cascade Locks einfach am Fluss fuhren) änderte sich die Landschaft schlagartig. Davor noch alles grün mit fast schon regenwaldähnlicher Fauna, danach deutlich trockener und fast schon wüstenartig. Auf der Luvseite hatten wir dann auch einen kühlen Schauertag; der letzte Regen für einige Zeit – danach wurde es praktisch jeden Tag heißer. Hier trafen wir dann auf Eric, einem Ami auf 4-wöchigem Trip, mit dem wir zwei Tage zusammen fuhren, was sich als Glücksfall herausstellen sollte. Am Tag vor dem Treffen hatte Stephan seinen ersten Platten nach Neuseeland vor 7 Monaten; das Flicken half nicht mehr viel, weil der Schlauch am Ventil ausgerissen war – also war der Ersatzschlauch fällig. Zudem klemmte unsere Pumpe, vermutlich beleidigt weil seit Monaten unbenutzt. Am nächsten Tag, zusammen mit Eric, ging nach 30 km die Luft schleichend raus. Nach Blick auf den eigentlich neuen Schlauch traf uns der Schlag, fast an jedem Speichenloch war ein Riss im Schlauch – damn it! Der Fahrradladen in Anchorage in Alaska hatte beim Einspeichen kein Felgenband eingesetzt, und zusammen mit dem Billigschlauch ritzte nun jedes Loch den Schlauch auf. Mehr als 10 Flicken (danke an Eric für die Pads!) klebten wir auf, aber es war nicht mehr zu retten – nach 2 km musste wieder nachgepumpt werden. Eric hatte zum Glück eine super Pumpe dabei, so dass die Pausen immer nur kurz ausfielen. Weitere 35 km fuhren wir noch, immer mit nach 2-3 km kleinen nervigen Pumppausen und im Hinterkopf, dass  der nächste Fahrradladen mit Ersatzschlauch über 100 km weit entfernt ist. An einer Tankstelle gab der Schlauch dann vollends den Geist auf. Nur zwei Kilometer weiter sollte ein kostenloser Campingplatz laut Eric sein, er fuhr schon mal vor und kam wenige Minuten später breit grinsend mit einem neuen Schlauch in der Hand uns entgegen gefahren. Erleichtert und dankbar konnten wir den Abend zusammen genießen – und wieder einmal hatten wir das Quäntchen Glück, was man auf so einer Reise definitiv braucht. Wem auch immer man dafür danken sollte.
Nach über 500 km entlang des Columbia Rivers (was nicht heißt das es flach ist!) bogen wir Richtung Walla Walla ab, um hier einen Ruhetag am Labour Day der Amis zu machen. Wir fanden spontan noch einen Warmshowers Host, der uns dank unserem Livetracking sogar entgegen fuhr. So nett und gastfreundlich wie es anfing verliefen die beiden Abende bei Rob und seiner Frau von den Philippinen. Wir wurden einfach inkludiert in die große BBQ-Party, bekamen morgens riesige (weltbeste!) Pancakes gemacht und konnten herrlich relaxen – es fällt uns hier immer etwas schwer, die richtigen Worte für „Danke für alles“ zu finden. Von Walla Walla ging es dann mehr und mehr in die Blue Mountains und die Bitterrootkette hinein bzw. hinauf. Große Gebiete werden hier für den Getreideanbau benutzt, was uns etwas an Australien erinnerte, auch weil schon alles sehr trocken aussah. Wir folgten aber weiter irgendwelchen Flüssen, unser tägliches Planscherlebnis lassen wir uns so schnell nicht nehmen. In Lewiston verließen wir ein letztes Mal den Bundesstaat Washington und fuhren nach Idaho ein und folgten dem Highway 12. Wieder mangels Alternativen nervte hier der Verkehr auf den ersten 120 km sehr, da teilweise ohne Seitenstreifen und Trucks ohne Ende. Ab Kooskia macht es aber dann „klick“ und der Verkehr war praktisch weg und es ging entlang eines Flusses hinauf Richtung Lolo Pass. Über 160 km schlängelte sich die tolle Straße, immer direkt am Fluss, hinauf in die Berge und nur die letzten 300 Höhenmeter waren mit 5 % etwas steiler. Wir erreichten mit dem Lolo Pass unseren bisher höchsten Punkt mit 1596 m. ü.M. schon mittags und entschieden uns direkt weiter nach Missoula zu fahren, der nächsten größeren Stadt. Nach über 100 km war der Tag gut lang, aber ein Warmshowers Hosts hatte uns wieder zugesagt. Gespannt fuhren wir durch ein Villenviertel und standen vor einem großen alten Haus mit Garten, Tür stand offen aber niemand antworte. Das Haus ist ein WG-Haus und immer im Sommer, also zur Fahrradsaison, kommen jeden Tag mehrere Tourenradler zum kochen, duschen und essen – so wie wir eben. Ein offenes Haus für jeden, am Anfang haben wir gar nicht kapiert wer hier jetzt wohnt, und wer nicht. Einige Abende saßen wir mit einem französischen Pärchen am Tisch und erzählten uns (Fahrrad-) Geschichten. Wir blieben gleich mehrere Tage in diesem Art kostenlosem Hostel, wo wir perfekt den ersten Besuch des Herbstes (10 Grad und Schauer) abwarteten. Auch gefiel uns Missoula als sympathische Kleinstadt mit mehr Fahrradläden als Shopping Malls. Zudem holten wir uns hier den letzten Impfschuss (HPA/HBA) ab, und dies für unglaublich billige 21 Dollar – da hätten wir in Deutschland das drei- bis vierfache bezahlt. Warum das bei dem Gesundheitssystem in den USA so günstig ist haben nicht verstanden, aber uns natürlich auch nicht beschwert. In dem großen Haus planten wir auch gemütlich unserer weitere Route, d.h. noch mehr in die Berge – nun aber endlich die Rocky Mountains mit Yellowstone, Great Teton usw. und das Beste: Unser Timing scheint zu passen, es noch ist kein Winter in Sicht, toi toi toi!

One thought on “USA – von der Küste via Wüste in die Berge

  1. Eric Sassaman

    I had a great time riding with you both! I had so much fun and relaxation on the rest of my trip around Oregon, and didn’t have any problems with the forest fires – good clean air the whole trip. I discovered later down the road that I forgot my other tire patch kit – so I had been riding with no patches! No problem though since I found some at a local bike shop 🙂

    Good luck to you on your fantastic journey! See you down the road 🙂

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